betabreakfast im betahaus Hamburg

Die Arbeitswelt ändert sich in vielen Branchen rasant: Flexible, digitale und wissensbasierte Arbeit ist auf dem Vormarsch. Der Ort, von dem aus gearbeitet wird und die Zeit, zu der gearbeitet wird, verlieren an Bedeutung, Arbeit und Freizeit lassen sich schwerer trennen. Lebensläufe und Berufswege sind immer weniger geradlinig. Digitalisierung verändert den Arbeitsalltag.

Wie aber verändert sie das Lernen? Welche Chancen bietet die Digitalisierung für das Lernen? Welche Rolle spielen die klassischen Bildungsinstitutionen wie Schule, Betriebe und Hochschule? Der Transformationsprozess macht auch vor ihnen nicht Halt. Auch das Selbstverständnis von Hochschulen verändert sich und wird sich verändern. Wie können Hochschulen sich öffnen, wie können sie der sich verändernden Arbeit gerecht werden, wie können sie flexibler und digitaler werden?

„Digitale Hochschulangebote als Beitrag zum lebenslangen Lernen“ im betahaus Hamburg

Gerade in der Kreativ-, Digital und Startup-Szene sind Hochschulen nicht mehr die einzigen Anlaufstationen für erfolgreiches Lernen. Für Informatikerinnen und Informatiker ist die Zahl der Projekte auf GitHub mitunter wichtiger als das Hochschulzeugnis, für Kreativwirtschaftende Innovationsbereitschaft bedeutender als der Bildungsabschluss. Und selbst ein exzellentes Zeugnis gibt heutzutage keine Garantie mehr für eine Festanstellung mit Karriereaussichten.

Doch wo bleibt die Hochschule bei dieser Entwicklung? Erreicht sie mit ihren Angeboten auch Menschen, die sich selbständig machen wollen oder bereits ihr eigenes Business haben? Trägt ihr vermeintliches Alleinstellungsmerkmal als die entscheidende öffentliche und wissenschaftliche Lehr- und Forschungseinrichtung eigentlich in Zeiten von Arbeit 4.0 noch? Und wie kann eine Öffnung gelingen, mit der die Kernkompetenz von Hochschule (wissenschaftliche Lehre und Forschung) verbunden werden kann mit den Bedarfen des sich verändernden Arbeitsmarktes?

Wo kann man diese Frage besser diskutieren als mitten in der Hamburger Kreativ-, Digital- und Startupszene? Der Weg führt direkt ins betahaus Hamburg, Coworking-Space für Startups, Freelancerinnen und Freelancer, Kreativschaffende und Arbeitsnomadinnen und -nomaden. Hier gibt es Schreibtische und ein Bistro, Konferenzräume, Eventflächen und Gemeinschaft.

Unter der Headline „Online-Weiterbildungsangebote aus der Hochschule“ durften wir am 21. März 2019 im Rahmen des betabreakfast im Coworkingspace „Betahaus Hamburg“ das Thema „Digitale Hochschulangebote als Beitrag zum lebenslangen Lernen“ vorstellen und mit den teilnehmenden Cowokerinnen und Coworkern diskutieren, welche Angebote und Formate für sie relevant und spannend sind.

pMOOCs2 – Online-Kurse für Berufserfahrene

Wir haben die Chance genutzt und das Projekt pMOOCs2 und, als ein Beispiel, den Kurs „Digitaler Selbstschutz“ von Dorina Gumm vorgestellt, der im Laufe dieses Jahres als kostenfreier MOOC auf oncampus.de angeboten wird. Themen dieses MOOCs sind: Der sichere Umgang mit Daten und Geräten, das sichere Navigieren im Web und die sichere digitale Kommunikation.

Das BMBF-geförderte Projekt pMOOCs2 („professional Massive Open Online Courses“) zielt darauf ab, Online-Kurse auf Bachelor- und Masterniveau für Berufserfahrene anzubieten. Anders als ein klassisches Studium sind die Kurse, die im Rahmen des Projekts entwickelt werden, offen und kostenfrei, man muss sich also nicht bei einer Hochschule einschreiben. Gelernt wird in und mit der Peer-Gruppe, die Kursteilnehmenden organisieren ihr Lernen selbst und lernen selbstgesteuert. In vielen der Kurse können sich die Teilnehmenden die Reihenfolge der Inhalte so zusammenstellen, wie es ihnen am besten passt. Und damit man seine neu erlernten Kompetenzen auch nachweisen kann, können Open Badges und Microcredentials erworben werden. Wer am Ende ein Hochschulzertifikat erhalten möchte, kann das durch die Teilnahme an mehreren Teilkursen und das Ablegen einer Prüfung tun – und sich diese Leistung dann auf einen Studiengang anrechnen lassen.

Quelle: Wettbewerb Offene Hochschule

Doch überzeugt dieses Konzept auch in der Praxis? Wir haben die Teilnehmenden beim betabreakfast gefragt. Insgesamt konnten wir mit acht Coworkerinnen und Coworkern diskutieren, die in unterschiedlichen Bereichen unterwegs sind, die meisten in der IT- und Kreativbranche. Viele von ihnen sind selbstständig oder haben ein eigenes Unternehmen. Wie wünscht ihr euch eigentlich Weiterbildung? Welche Formate sind für euch spannend? Sind Nachweise oder Zertifikate eigentlich überhaupt interessant? Und was müsste auf solchen Nachweisen eigentlich ausgewiesen werden, damit sie einen echten Mehrwert haben? Diese und andere Fragen haben wir diskutiert.

Die Diskussion zeigte, dass sich die Anwesenden sehr gezielt Lernangebote suchen und sich bei der Themenwahl stark an Fragen der Anwendung und Lösung von Problemen orientieren. An erster Stelle steht für sie das „self-driven“ Lernen und der Austausch mit anderen. Das Erwerben eines Zertifikats ist, wenn überhaupt, nachrangig. Trotzdem wurde auch nochmal hervorgehoben, dass für den Arbeitsmarkt formale Qualifikationsnachweise immer noch eine Rolle spielen.

Gleichzeitig kommt bei der Diskussion jedoch auch heraus, wie wichtig es ist, dass Hochschule zwar ein Ort der Sicherung der Qualität des Wissens, der Lehre und der Forschung bleibt, aber auch ein Ort des Austausches sein muss:

„Hochschule hat eigentlich die Aufgabe, einen Raum zu bieten, innerhalb dessen man sich bilden kann. Hochschule ist für kreative Bereiche wichtig, weil man Zugang zu anderen Menschen und Expertinnen und Experten hat, so kann man angewandt ausprobieren. Spannend werden Online-Angebote erst, wenn sie diesen Raum anbieten können“.

Diskutiert wurde auch, dass es einen Unterschied zwischen dem Lernen an Hochschulen und dem selbstgesteuerten Lernen im Rahmen von Weiterbildungskursen gibt. Es wird argumentiert, dass die Zeit als Studierender an einer Hochschule auch eine entscheidende Funktion bei der Entwicklung der Persönlichkeit haben kann. Als Studierender darf man sich ausprobieren, man darf auch scheitern und auch Phasen haben, in denen man weniger diszipliniert ist. Wenn man aber selbstgesteuert lernen möchte, beispielsweise in einem Online-Kurs, dann braucht es Disziplin. Selbstdisziplin und Lernbereitschaft sind hier das A und O: Man muss bereit sein, ernsthaft zu arbeiten, nicht einfach Credit Points abzuholen. Erst wenn diese Voraussetzung da ist, ist ein Online-Kurs sinnvoll und bietet viele Vorteile, weil Zeit und Ort selbst wählbar sind.

„Self-driven“-Lernen bei Kreativschaffenden

Und was brauchen Freelancerinnen und Freelancer, Startups und Kreativschaffende, was unterscheidet sie von klassischen Studierenden?

„Heute bewege ich mich thematisch, interessenbezogen. Ich lerne, wann immer die Zeit zur Verfügung steht, am Wochenende oder wann auch immer, wichtig ist immer die Anwendung!“

Das kann im Studium noch anders sein: „Studierende sind auf der Jagd nach Punkten und Zertifikaten, sie optimieren sich im System. Das brauchen andere so nicht, Selbstständige ohnehin nicht”, so einer der Anwesenden. Das Lernen sei hier viel stärker „self-driven”, Zertifikate spielten keine Rolle, selbst formale Bildungswege verlören an Bedeutung. Doch nicht alle  Coworkerinnen und Coworker sind dieser Meinung: In der freien Wirtschaft gibt es eine gläserne Decke (“glass ceiling”), über die man nicht hinauskommt, wenn bestimmte formale Qualifikationen fehlten, so eine Meinung.

Wie sieht die Bildung der Zukunft aus?

„In 20 Jahren wird sich Bildung stark geändert haben, formale Abschlüssen sind dann unnötig, Künstliche Intelligenz wird irgendwann Aussagen darüber treffen, wie qualifiziert eine Person ist. Bis dahin bleiben Nachweise wichtig, es muss aber genau das nachgewiesen werden, was man wirklich gelernt hat“.

Die Anbieterinnen und Anbieter von Bildung könnten in Zukunft sehr viel vielfältiger und bunter werden. Die Lernenden wollen selbst entscheiden, ob sie sich nur oberflächlich mit einer Thematik beschäftigen, um einen kurzen Einblick zu bekommen oder ob sie tiefer einsteigen. In diesem Fall kommt es auch auf ein hohes Niveau an Exaktheit an: „Will ich mich nur mal grob informieren oder tatsächlich Prozess sehr exakt erlernen? Beim Codieren lernen z. B. muss ich exakt vorgehen und brauche ein Lernangebot, das diesem Anspruch gerecht wird“.

Wir wollten genauer wissen, wieviel Zeit sich die Anwesenden für die Weiterbildung nehmen: Pro Woche zwischen 5 und 8 Stunden, wenn es aber um ein wichtiges Thema geht, z. B. ein Branchenwechsel vorbereitet wird, ist auch mehr drin, z. B. bis zu 15 Stunden die Woche.

Außerdem wollten wir wissen, welche Art von Zertifikat tatsächlich einen Mehrwert hat. Dabei zeigte sich ein ziemlich einheitliches Bild: für die Zielgruppe ist das Zertifikat ist nicht primär relevant. Im Vordergrund steht entweder der Mehrwert eines Kurses für die Anwendung oder aber die Möglichkeit von (Weiter-)Bildung und Austausch. Möchte man das Zertifikat in einem beruflichen Kontext einsetzen sei es aber durchaus wichtig, dass die erworbenen Kompetenzen aufgelistet sind. Auch Selbständige können zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf den Arbeitsmarkt angewiesen sein und müssen dann Bewerbungsunterlagen vorweisen können.

Fazit

Insgesamt war das betabreakfast und die intensive Diskussion sehr spannend und bereichernd. Wir als Hochschule und oncampus als Plattform für Weiterbildungsangebote werden uns weiter öffnen und kontinuierlich weiterentwickeln müssen. Werden Zertifikate tatsächlich immer weniger nötig? Sind formale Lernangebote bald „von gestern“? Bleibt der Campus weiterhin ein entscheidender Faktor für Persönlichkeitsentwicklung, Austausch und Kreativität? Können wir Elemente davon auch online abbilden? Wir werden es versuchen, pMOOCs2-Kurse gibt es ab Herbst bei oncampus.de. Danke, betahaus Hamburg!

Text: Dorina Gumm, Christine Brunn

Dorina Gumm, Professur für Web Information Systems am Fachbereich Elektrotechnik und Informatik der Technischen Hochschule Lübeck und Christine Brunn, Mediendidaktik am Institut für Lerndienstleistungen der Technischen Hochschule Lübeck.

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